Historisches über die Erfurter Straßenbahnen

Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg (1883 – 1945)
Der Ursprung der Erfurter Straßenbahn ist die am 13. Mai 1883 von der Firma Marcks & Balke eingeführte Pferdebahn, die anfangs ohne Haltestellen auf zwei Linien durch die Stadt fuhr. Erfurt entwickelte sich zu dieser Zeit über die Stadtbefestigung hinaus und die Pferdebahn schaffte die Anbindung des stadtnahen Ilversgehofen an die Stadt. Die 5km lange „Rote Linie“ verband den Johannesplatz mit der Gaststätte Flora. Die 2,4 km lange „Grüne Linie“ erstreckte sich vom Anger über den Hirschgarten zum Schützenhaus, nahe der heutigen Thüringenhalle. Jeder, der mitfahren wollte, hob die Hand und der Kutscher hielt an. So konnte jedoch kein Fahrplan eingehalten werden. Schnell legte das Verkehrsunternehmen daher Haltestellen fest und stellte für die Kutscher einige Regeln auf: wer zu langsam fuhr, bekam einen Groschen vom Lohn abgezogen, weil er unpünktlich war. War der Kutscher jedoch zu früh an der Haltestelle, zog man ihm zwei Groschen vom Lohn ab, denn er war nicht nur unpünktlich, sondern strapazierte auch die Pferde über Gebühr.[2]
Am 1. Juni 1894 begann das Zeitalter der elektrischen Straßenbahnen in Erfurt. Mit drei elektrischen Motorwagen nahm die Straßenbahn auf der Strecke Flora – Hauptpost – Ilversgehofen ihren Betrieb auf. Wenig später begann die Umstellung der Pferdebahnstrecke Hirschgarten – Schützenhaus auf den elektrischen Betrieb. Für 10 Pfenning konnte man bei einer Geschwindigkeit von 12 bis 15km pro Stunde das 10,5km lange Erfurter Straßenbahnnetz befahren. Die neue Bahn wurde von Erfurts Bevölkerung bereits im ersten Jahr gut angenommen und die Stimmen mehrten sich, die eine Erweiterung des Streckennetzes forderten.[3]
Am 28. Dezember 1898 ging mit der zwischen Brühler Straße – Marktstraße – Bahnhof – Steigerstraße verkehrenden „Gelben Linie“ die 3. Linie in Betrieb. Auf insgesamt 14,7 km Straßenbahngleisen rollten zu dieser Zeit 42 Triebwagen und 15 Anhänger.[4]

Ab 1899 wurde die „Gelbe Linie“ erweitert, so konnte durch die Eröffnung der Verbindung von Flora über Benaryplatz zum Domplatz eine „Ring Linie“ in Betrieb gehen. Der Ausbau der „Grünen Line“ ermöglichte die Anbindung des Auenkellers und führte über den Domplatz zum Krankenhaus (Klinikum).[5]
Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Einwohnerzahl Erfurts die Grenze von 100.000 überschritt und die Industrie expandierte, wuchs das Streckennetz binnen weniger Jahrzehnte auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe an. 1904 wurde vom Anger über das Krämpfertor eine 1,45 km lange Neubaustrecke in die Leipziger Straße verlegt. Sie endete Am Alten Nordhäuser Bahnhof und bediente damit gleichzeitig auch den Schlachthof. Die „Weiße Linie“ führte vom Brühlerwall (Benaryplatz) über Schillerstraße – Hauptbahnhof – Anger zum Alten Nordhäuser Bahnhof.[6]

In den 1910er Jahren begann mit dem zweigleisigen Ausbau der vorhandenen Strecken eine neue Epoche. 1912 kam eine 5. Linie ans Netz, die von der Lutherkirche über die Oststadt zur Jägerkaserne ging. Zwei Jahre später wurden die bis dahin in den Bahnen üblichen Zahlkästen durch Schaffner abgelöst.
Im Jahr 1912 verkehrten die elektrischen Straßenbahnen auf 5 Linien in der Stadt: Erfurt-Nord (Ilversgehofen) – Steigerstraße (Flora), Brühlerwall – Leipziger Straße, Gothaer Straße – Weimarische Straße, Schützenhaus – Nordhäuser Straße, Blücherstraße (heutige Breitscheidstraße) – Kavallerie-Kaserne (Daberstedt).
Nach dem 1 Weltkrieg wurden alle Ausbaupläne verworfen und die Abschnitte Anger – Nordhäuser Straße, Anger – Weimarische Straße, Tschaikowskistraße – Jägerkaserne und Flora – Benaryplatz stillgelegt. Die Überbleibsel der „Weißen Linie“ und „Blauen Linie“ wurden einige Jahre als „Blau-Weiße Linie“ betrieben.
1929 erhielten die Straßenbahnlinien Ziffern anstelle der bis dahin verwendeten Farbenkennung: Linie 1 Ilversgehofen – Flora, Linie 2 Gothaer Platz – Flora, Linie 3 Schützenhaus – Klinikum, Linie 4 Tschaikowskistraße – Lutherkirche.

1930 erfolgte erstmals wieder eine Neueröffnung in Form der Wiedererrichtung der Line 4 bis zur Jägerkaserne sowie der zweigleisige Ausbau des Hirschgartens in zwei parallelen Straßen. 1934 wurde die Linie 5 vom Hauptfriedhof zur Steigerstraße neu eröffnet. Zudem wurde die Line 3 auch über den Anger und Hauptbahnhof gelegt. 1944 musste, im vorletzten Kriegsjahr, der Fahrbetrieb wegen Fliegeralarms annähernd 200-mal unterbrochen werden. Um möglichen Schäden vorzubeugen, wurden die Bahnen nicht mehr in die Depots gefahren, sondern an den Endhaltestellen abgestellt. Drei Wochen nach Ende des 2. Weltkrieges rollten wieder die ersten Straßenbahnen durch Erfurts Straßen.[7]
[2] Quelle Vgl: Ulrich Seidel: Erfurt, Einst& Jetzt, Sutton Verlag GmbH, Erfurt, 2017 (S. 29).
[3] Quelle: A.u: Erfurt in F@hrt, mit der Stadtbahn, Ausgabe Juni 2005
[4] Quelle: A.u: https://www.evag-erfurt.de/evag/geschichte, 20.10.2022
[5] Quelle: Br111 Fan: https://www.youtube.com/watch?v=WKoVVlWCYyY&t=810s, 27.10.2022
[6] Quelle: A.u: ÖPNV Signale, 1997, 2. Jahrgang, 2. Heft, Seite 3
[7] Quelle: A.u. https://www.evag-erfurt.de/evag/geschichte, 20.10.2022
Nachkriegszeit und Deutsche Demokratische Republik (1948 – 1989)

Zum Zeitpunkt der Gründung der DDR verkehrten bereits fünf Straßenbahnlinien. Da der Staat (DDR) Straßenbahnnetze in Städten mit weniger als 200.000 Einwohnern nicht fördern wollte und über die Stilllegung nachdachte, gab es bis in die 1970er Jahre keine Ausbauten und die Linie 1 wurde bis zum Dalbergsweg eingekürzt. 1961 fand die erste Internationale Gartenschau in Erfurt statt. Hierfür wurde, auf 1,3km Länge, die vom Bahnhof bis zum iga-Haupteingang führende Straßenbahnlinie 2 eröffnet. Zunächst ging 1963 die Strecke vom Klinikum zum Rieth in Betrieb und die Linie 4 wurde eingestellt. Den Abschnitt Thüringenhalle übernahm die Linie 2. 1970 wurde im Rahmen des Generalverkehrsplans der Ausbau zur Schnellstraßenbahn beschlossen. Dieser beinhaltete zahlreiche Neubaustrecken in die entstehenden Plattenbaugebiete im Norden und Süden, die in den 1970er und 1980er-Jahren realisiert wurden. Dabei entstand auch Erfurts 6. Linie.[8]
[8] Quelle: Christian Meinelt und Peter Kalbe, Die Straßenbahn in Erfurt, Geschichte-Strecke-Fahrzeuge. Sutton Verlag GmbH, 2018, (Seite 9)


(Bildquelle: ÖPNV Signale, Juni 2001, Seite 2)
Wendezeit und Neuanfang (1990 – 2023)

1992 erfolgte die Fertigstellung der Straßenbahnlinie 6 zum Roten Berg. 1994 rollten die ersten Niederflur-Straßenbahnen durch Erfurt. Seit 1990 fanden kontinuierlich Gleiserneuerungen statt, hierbei wurden die Gleise, Weichensteuerungen und Haltestellen auf die Niederflur-Straßenbahnen vorbereitet. 1996 beschloss der Stadtrat, die Erfurter Straßenbahn bis 2008 zu einem Stadtbahnsystem auszubauen. Die neuen Strecken zum Ringelberg (2000), zur Messe (2001) und durch das Brühl (2001) wurden in Betrieb genommen. Eines der wichtigsten Ziele im Stadtbahnprogramm war die Schaffung einer neuen Direktverbindung vom Hauptbahnhof in den Westen der Stadt, durch die Linie 4 Thüringenhallte-Flughafen-Bindersleben. Mit der Eröffnung der vorerst letzten Neubaustrecke im Oktober 2007 zwischen Salinenstraße und Rieth wurde das Erfurter Stadtbahnprogramm vorzeitig abgeschlossen.[9] 2021 wurden im Rahmen der Bundesgartenschau die West- bzw. Ostäste der Linien 2 und 4 getauscht. Bis 2020 wurde zum Weihnachtsmarktverkehr eine 7. Linie zwischen Thüringenhalle und Domplatz bereitgestellt.
[9] Quelle: A.u: ÖPNV Signale 2004, Heft 8


